"In dieser Form eine Weltpremiere"

Es ist das Konzert-Highlight 2015 in der Historischen Stadthalle Wuppertal. Jethro Tull's Ian Anderson spielen im April an drei Abenden hintereinander zusammen mit dem Wuppertaler Sinfonieorchester und der Kantorei Barmen Gemarke.

John O’Hara (li.) und Ian Anderson in gespannter Gesprächsatmosphäre. Doch der Laptop auf dem Tisch deutet an - direkt danach wurde wieder gearbeitet ...

Foto: Henning Müller-Hainbach

Rundschau-Redaktionsleiter Hendrik Walder sprach mit Querflöten-Legende Ian Anderson und Keyboarder John O'Hara.

Befassen Sie sich schon gedanklich mit dem Auftritt in Wuppertal?

Ian Anderson: Oh ja, gerade heute wollen wir einige wichtige Teile des Chorparts festlegen. Schließlich ist es unser erstes Konzert mit einem großen Chor.

John O‘Hara: Das ist schon eine gewisse Herausforderung. Unsere Chorerfahrungen bezogen sich bislang in erster Linie auf Konzerte mit einem Sängersextett in Kirchen zur Weihnachtszeit. Aber hier mit 80 Sängerinnen und Sängern zu agieren, das ist etwas völlig anderes. Der Chor wird von uns Material bekommen, das eigens für die Auftritte in Wuppertal komponiert und arrangiert wurde. Es sind von daher Weltaufführungen ...

Anderson: Sie werden sogar einige Sektionen solo oder mit sehr spärlicher Begleitung singen müssen. Eines unserer ganz bekannten Stücke wird eingangs nur vom Chor vorgetragen. Pianissimo und in sehr geheimnisvoller Manier…

Eine Herausforderung für die viel gepriesene Akustik der Stadthalle. Kennen Sie sie?

Anderson: Ich habe gehört, sie soll sehr schön sein. Ich hoffe vor allem, es klingt in ihr besser als in der Royal Albert- Hall, der Carnegie Hall oder dem Opernhaus in Sydney. Deren Probleme sind oft dadurch entstanden, dass man versucht hat, akustische und optische Architektur miteinander zu verbinden. Das klappt nicht.

Gibt es denn schon Notenmaterial?

O'Hara: In der Tat. Wir haben Wolfgang Kläsener, dem Chorleiter, schon einige Stücke geschickt. Und wir haben ihm mit auf den Weg gegeben, dass der Chor regelrecht swingen soll.

Sie werden an den Abenden nicht klassisch dirigieren?

O'Hara: Nein, ich sitze an den Tasten und werde nur gelegentlich mit der Hand und dem Kopf ein wenig Einsätze oder rhythmische Hinweise geben.

Anderson: Auch das Orchester wird ziemlich selbstständig agieren. Sie sollten die Musik antizipieren und spüren, nicht ständig den Anweisungen eines Leiters folgen. Am besten ist, wenn John gar nicht groß eingreifen muss, sondern nur dann, wenn es unbedingt nötig ist. Aber wie das funktioniert, werden wir tatsächlich erst bei der ersten Probe feststellen...

Sie sind ja schon häufig mit orchestraler Begleitung aufgetreten ...

Anderson: Ja, mit einigen sehr guten — und einigen weniger guten. Ich empfinde es immer als wichtig, dass man gegenseitig aufeinander neugierig ist, auf die Musik und wie man sie umsetzt. Ich für meinen Teil will immer noch etwas Neues entdecken und lernen. Von daher fände ich es großartig, wenn das die Wuppertaler Musiker für sich ähnlich sähen.

Jedenfalls haben sie die erste Auflage von "Rock meets Classic" mit Procol Harum sehr genossen.

Anderson: Das kann schon helfen. Unsere Musik ist rhythmisch oft sehr eigenwillig mit vielen Synkopen durchsetzt, das erhöht die musikalische Spannung.

So kann das Orchester von diesem ungewöhnlichen Einsatz auch profitieren?

Anderson: Das ist jedenfalls unser Ziel — übrigens auch was das Publikum angeht. Wir haben beispielsweise öfter schon in Canterbury Cathedral musiziert, meist zur Weihnachtszeit. Viele Menschen, die deswegen dort hingehen, gehören nicht unbedingt zu typischen Kirchgängern. Das gilt auch für unsere Konzerte mit Orchesterbegleitung. Wir wollen die Besucher damit auch auf ihre örtlichen Orchester neugierig machen. Es geht uns nicht darum, sie zum christlichen Glauben oder zu klassischer Musik zu überreden — sie sollen einfach "ihre" Kirche, "ihre" heimischen Musiker wahrnehmen, unterstützen und wertschätzen.

Haben Sie schon eine Playlist?

O'Hara: Die gehen wir gerade durch, und es ist keine einfache Arbeit. Tatsächlich ist es nicht so, dass wir unsere Stücke einfach um orchestrale und chorische Elemente ergänzen. Vielmehr reduzieren wir die in Frage kommenden Stücke auf Melodie und grundlegende Harmonien und bauen die neuen Arrangements darauf auf.

Das bedeutet dann auch für die Gruppenmitglieder eine Umstellung?

Anderson: Eine sehr große sogar. Man bewegt sich nicht mehr nur in seiner eigenen Komfortzone, in der man problemlos auf die anderen Bandmitglieder reagieren kann. In dieser komplexen Zusammensetzung muss man auch leise spielen und zuhören können.

Das ist für einen Drummer oder einen E-Gitarristen ziemlich schwer.

Anderson: Deswegen werden wir wahrscheinlich ein Electronic drum kit benutzen, mit dem wir die Lautstärken-Balance besser kontrollieren können. Für mich ist es hingegen keine große Umstellung. Ich spiele Querflöte und akustische Gitarre, damit bin ich nie zu laut...

Laut ist nicht das Kriterium bei einem Jethro Tull-Konzert ...

Anderson: Nein, überhaupt sollte Rockmusik nicht durchgängig laut sein. Man muss nicht die Aufmerksamkeit der Zuhörer erregen, in dem man den Lautstärkeregler aufdreht. Die Power der Musik misst sich nach dem Rhythmus und der Intensität der Performance und nicht nach möglichst hohen Dezibel-Werten.