Festnahme von Thomas Lenz „Unglaublicher Skandal“
Wuppertal · Eigentlich war die deutliche Positionierung Wuppertals gegen einen Aufmarsch der rechtsextremen Partei "Die Rechte", die am Samstag große Teile Barmens lahmgelegt hat, ein politischer Erfolg: Auf dem Berliner Platz — und im weiteren Verlauf des Zuges der Neo-Nazis entlang der Talsohle — standen weniger als 100 Rechten 400 Gegendemonstranten gegenüber.
Eigentlich ...
Die vorübergehende Festnahme von Jobcenter-Chef Thomas Lenz, der als Privatperson an der Gegenkundgebung teilnahm, im Rahmen eines brutalen Niederwurfs durch mehrere Polizeibeamte sorgt(e) am Wochenende und auch jetzt noch für haushohe Wogen der Empörung.
Der Wuppertaler SPD-Landtagsabgeordnete und Ex-Polizist Andreas Bialas beispielsweise hat zusammen mit seinen SPD-Kollegen Dietmar Bell und Josef Neumann angekündigt, die Vorkommnisse während der Kundgebung zum Thema im Innenausschuss des NRW- Landtags zu machen. Bialas hatte auf seiner Facebook-Seite ein deutlich über 100.000-fach aufgerufenes Video gepostet: Es beginnt zu dem Zeitpunkt, als Thomas Lenz, der angeblich zuvor einen polizeilichen Platzverweis erhalten haben soll, auf Höhe des Geschwister-Scholl-Platzes von einem Beamten zu Boden gerissen wurde. Anschließend wurde er mit Hilfe von zwei weiteren Polizisten gefesselt. Der Film vermittelt für den unbeteiligten Betrachter erhebliche Brutalität.
Für Bialas' Ins-Netz-Stellen des Films, ohne dabei klare Zusammenhänge und Hintergründe zu nennen, hat der SPD-Politiker bereits erhebliche Kritik beispielsweise von FDP und CDU kassiert. Der Film ist mittlerweile von Bialas' Facebook-Seite gelöscht.
Klar ist: Der Chef des Jobcenters wurde im Bereich des Geschwister-Scholl-Platzes wegen "Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte", da er einem Platzverweis nicht Folge geleistet haben soll, festgenommen und nach Feststellung seiner Personalien wieder entlassen.
Lenz stellt die Vorgänge am Samstag im Gespräch mit der Rundschau komplett anders dar — verweist auf ein umfangreiches (und der Polizei unbekanntes sowie im Internet nicht präsentes) Video, das den gesamten Ablauf zeige. Außerdem gebe es, so Thomas Lenz, etwa 50 Zeugen, die ihm mehrheitlich namentlich bekannt sind, die seine Darstellung stützen. Die sieht so aus: Auf Höhe des Geschwister-Scholl-Platzes hat Thomas Lenz von weitem gesehen, wie eine ihm bekannte Frau, die unter Rückenproblemen leidet, von einem Polizeibeamten gestoßen worden sei. Als er der Frau habe helfen wollen, sei ihm von der Polizei gesagt worden: "Sie helfen hier niemandem." Er habe mehrfach darum gebeten, zu der Frau gehen zu dürfen, was aber abgelehnt worden sei. Schließlich habe er sich, so Lenz, umgedreht, um wegzugehen — und sei dann im Weggehen von dem Polizeibeamten gestoßen worden. Dagegen habe er sich mit den Worten "Ich lasse mich nicht schubsen" zur Wehr gesetzt — danach sei die Eskalation, an der fünf Beamte beteiligt gewesen seien, ausgebrochen. Thomas Lenz ("ich muss das so sagen, ich wurde richtig misshandelt") spricht von Fesselung durch Kabelbinder, gewaltsamem Verdrehen der Haut, zweistündiger Festsetzung in einer mobilen, unbelüfteten Zelle auf der B7 — und von einem "ungeheuren Skandal".
Vor allem deswegen, weil Polizeipräsident Markus Röhrl am Montag im WDR sich nicht etwa — wegen des laufenden Verfahrens — vorsichtig geäußert habe, sondern die Version, Thomas Lenz habe sich an einer Sitzblockade beteiligt und einem Platzverweis nicht Folge geleistet, weiterhin verbreitet habe. Lenz zur Rundschau: "Nichts davon ist wahr. Ich bin tief empört über das Verhalten des Polizeipräsidenten in einem laufenden Verfahren, und nutze deswegen jetzt auch den Weg der Öffentlichkeit."
Thomas Lenz äußert sich im Gespräch mit der Rundschau auch zu dem polizeilichen Vorwurf, er habe sich schon tagsüber aggressiv verhalten. Wie es insgesamt zu der Eskalation gekommen sein könnte, sieht Thomas Lenz bereits in einem Ereignis am Vormittag begründet. Er selbst und mehrere jüngere sowie ältere Leute hätten "quasi einen Familienausflug" nach Oberbarmen zum Berliner Platz gemacht. In die Menschenmenge der sich langsam formierenden Gegendemonstration habe er sich aber nicht begeben wollen — und darum seiner Freundesgruppe vorgeschlagen, in ein einige hundert Meter entferntes Café an der Berliner Straße zu gehen. Dort sei die Gruppe plötzlich von mehreren Polizeibeamten eingekreist worden — mit der Anweisung "Sie verschwinden hier!" Dieser Anweisung habe er sich (Thomas Lenz: "Das ist ja reine Willkür, ich lasse mir nicht vorschreiben, wo ich Kaffee trinke!") nicht gebeugt. Andere Gäste des Cafés (Thomas Lenz: "Der Verkehr auf der B7 und das Leben rund um den Berliner Platz liefen ja ganz normal weiter") seien von solch einer Einkreisung durch die Polizei nicht betroffen gewesen.
Thomas Lenz' Fazit: "Vielleicht ist es fast gut, dass mir das passiert ist. Irgend ein ganz normaler Betroffener könnte sich jetzt nicht helfen und hätte sicher auch nicht so viel Aufmerksamkeit und Unterstützung wie ich. Nochmals: Das Ganze ist ein unglaublicher Skandal."
Weitere Facette des Ganzen ist das verschobene Pina-Bausch-Jugendtanzfestival auf dem Geschwister-Scholl-Platz. Nach Auffassung einiger Beobachter hätte eine rechtzeitige Information der Polizei darüber, dass am Samstag ein ganztägiges Pina-Bausch-Tanzfest mit Kindern und Flüchtlingen in der Barmer City (seit langer Zeit schon) terminiert war, aus Sicherheitsgründen durchaus eine gerichtsfeste Verlegung der Neo-Nazi-Marschroute beispielsweise auf die ebenfalls "innenstadtnahe" Heckinghauser Straße möglich machen können.
Eine solche Information durch die (Kultur-)Stadtverwaltung an die Polizei hat es aber nicht gegeben. Polizeipräsident Markus Röhrl gab in der Rundschau vom 16. Juni zu Protokoll, von jener Jugendtanzveranstaltung habe die Polizei "erst vergangene Woche erfahren".
Am Rande der Montagspressekonferenz des Oberbürgermeisters wurde eingeräumt, dass es in der Verwaltung keinen Workflow gibt, der für das rechtzeitige Weiterleiten solcher (in diesem Fall eventuell entscheidenden) Informationen sorgt. Oberbürgermeister Andreas Mucke kündigte an, mit seinen Dezernenten über das Thema sprechen zu wollen.