Interview: Der „NSU“-Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages „Das finde ich bestürzend“
Die Mord- und Anschlagsserie der Rechts-Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) beschäftigt zurzeit das Oberlandesgericht München. Parallel hat der NRW-Landtag einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, denn "NSU"-Terror gab es auch in Köln und Dortmund.
Rundschau-Redakteur Stefan Seitz sprach mit dem Wuppertaler SPD-Landtagsabgeordneten Andreas Bialas, der Mitglied dieses Ausschusses ist.
Worum geht es in der Ausschussarbeit?
Unsere Aufgabe ist, die Verantwortlichkeiten und Fehler staatlicher Stellen, also etwa Polizei, Verfassungsschutz oder Staatsanwaltschaft, zu klären. Wir blicken anhand umfangreicher Zeugenbefragungen darauf, wie sich das staatliche Handeln im Zusammenhang mit dem "NSU" vollzogen hat. Wobei man eher sagen muss: Wie es sich nicht vollzogen hat.
Wie meinen Sie das?
Obwohl wir nach etwa einem Jahr erst am Anfang stehen, hat sich bei der Befragung der Opfer und Opferverwandten deutlich gezeigt, dass die Art, wie die Ermittlungen durchgeführt wurden, gelinde gesagt, bemerkenswert war.
Beispielsweise?
Zwar sind die meisten Morde Beziehungstaten. Dass hier aber etwas ganz anderes den Hintergrund liefern könnte, wurde offenbar nicht gesehen oder bedacht. Die Zeugen, die selbst Opfer sind, wurden von der Polizei so vernommen, als gehörten sie zu einem Täterkollektiv.
Sie waren selbst Polizeibeamter. Da klingt deutliche Kritik an...
Die Ausschussarbeit hat leider klar gezeigt, dass es etwas völlig anderes ist, ob ein Deutsche-Bank-Vorstand Opfer eines Anschlags wird, oder eben ein türkischer Gemüsehändler. Wenn man sieht, wie wenig hier den Opfern Respekt gezollt worden ist, dann sitzt man da und kann es nicht glauben.
Was macht das mit Ihnen als Politiker?
Man ist ja nicht blind. Aber man geht doch immer davon aus, dass es bei staatlichen Stellen eine Grundhaltung gibt, die sich aus den Eckpunkten unserer Verfassung ergibt. Die Ausschussarbeit hat mir aber gezeigt, dass die Realität ein Stück weit anders aussieht.
Sehen Sie dabei politische Hintergründe?
Es geht gar nicht um vielleicht rechtspopulistische Einstellungen bei den Ermittlungsbehörden. Es geht um teilweise haarsträubende Schlampigkeit. Und die hätte es definitiv bei einem Anschlag auf einen Bank-Vorstand nicht gegeben. Außerdem, und das wäre ein Ergebnis des Ausschusses, zeigt sich, dass die Polizei Supervision braucht, starke Formen politischer Bildung und eine viel engere Einbindung in gesellschaftliche Prozesse. Polizei und andere müssen sich fragen lassen: Was macht es mit Opfern, wenn der Staat ihnen nicht hilft?
Der Verfassungsschutz steht in Sachen "NSU" auch nicht gerade in strahlendem Licht...
Immer wieder wurde ausgeschlossen, dass es sich hier um rechtsextremistische Terrortaten handelt. Das finde ich schon bestürzend. Man fragt sich, wozu es V-Leute gibt. Hatten sie keine Informationen? Haben sie sie nicht weitergeleitet? Mir stellt sich das heute so dar, dass wir mehrheitlich irgendwelche Luschen hatten.
Ihr bisheriges Ausschussfazit?
Jahrzehntelang galt, dass linke Terroristen unseren Staat zerschlagen wollen, die Rechten nicht. Das war immer Unsinn. Wie sehr, zeigt der "NSU". Es gab offenbar keinerlei Vorstellungsvermögen dafür, dass hier rechte Terroristen durchs Land ziehen und am helllichten Tag wahllos Menschen ermorden. Allen staatlichen Stellen muss heute klar sein, dass Rechtsextremisten den Staat und seine Repräsentanten ebenfalls offensiv angreifen wollen. Dazu passt das Erlebnis der "Hogesa"-Gewalt in Köln.
Welche Zukunftsaufgaben sehen Sie?
Die Kommunikation zwischen den Behörden muss besser werden. Das Thema "NSU" zeigt aber vor allem, wozu die Mischung aus typisch bürokratischem Handeln und menschlicher Schwäche führen kann. Es müsste verhindert werden können, dass Personen, die diese Facetten verkörpern, in Polizei, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaft & Co. auf verantwortliche Positionen gelangen.