Islam-Unterricht an der Grundschule Marienstraße "Alle Kinder dieser Erde ..."
Wuppertal · Islamischer Religionsunterricht — wie läuft der ab? Die Rundschau besuchte eine Doppelstunde an der Grundschule Marienstraße.
Es ist Mittwochmorgen. Der Klassenraum, von dem aus man den verregneten Schulhof mitten in der Nordstadt sieht, füllt sich langsam. Mohamed El Kadiri hat sich vorher mit mir und Fotografin Bettina Osswald im Lehrerzimmer getroffen. Die Hälfte der Schüler an der Marienstraße sind Moslems, hat er uns erzählt. Einmal pro Woche haben sie — genau wie die evangelischen und katholischen Kinder — zwei Stunden (freiwilligen) Religionsunterricht.
24 Kinder sitzen heute in der vierten Klasse — Mädchen und Jungs bunt gemischt. Und drei Flüchtlingskinder aus Syrien, die herzlich begrüßt werden — wie sich überhaupt alle vor Unterrichtsbeginn mit Handschlag willkommen heißen. Die drei "Neuen" kommen aus Syrien. "Und wo kommt ihr anderen denn alle her?", fragt der Lehrer. Die Türkei nennen die meisten, dann Marokko, auch Syrien, ein Mädchen sagt "Albanien", ein Junge "ich bin Kurde".
Mohamed El Kadiri, groß, schlank, seine sanfte Stimme strahlt Vertrauen, ruhige Autorität und Entspanntheit aus, stellt einen mobilen Lautsprecher auf den Tisch, steuert ihn vom Smartphone aus an. Alle stehen auf, fassen sich an den Händen, singen zusammen — auf Deutsch: "Alle Kinder dieser Erde reichen sich die Hände. Allah will Frieden stiften, damit wir die Erde nicht vergiften ..."
Als das Lied zu Ende ist, fragt der Lehrer: "Welches Gefühl habt ihr, wenn ihr zusammen seid?" Viele Kinder melden sich: "Das ist gut, wir sind dann lustig und fröhlich." "Ja", fasst Mohamed El Kadiri zusammen, "das ist heute unser Thema: Fröhlich und nicht allein zu sein." Dazu gibt es wieder ein Lied: "Gott sagt zu dir, ich hab dich lieb, ich wär so gern dein Freund. Und was du nicht alleine schaffst, das schaffen wir vereint."
Das dann folgende Gebet, die Koran-Sure "Ich danke dir, Allah..." spricht Mohamed El Kadiri auf arabisch vor, übersetzt für die Kinder und lässt sie auch selbst übersetzen. Er erklärt die Verwandtschaft des Textes zum 23. Bibel-Psalm "Der Herr ist mein Hirte". Und er erwähnt ganz selbstverständlich: "Die einen sagen Allah, die anderen sagen Gott..."
Der Lehrer klappt die Tafel auf: Ein goldfarbenes Schmuckbild zeigt den Namen Allahs und des Propheten Mohammed. Fast alle Eltern der Kinder haben solch ein Bild zu Hause. Und das moslemische Glaubensbekenntnis "Ich bezeuge..." kennen sie auch schon. Mohamed El Kadiri erzählt: "Viele Moslems beten das auch abends, damit man gut schläft und schöne Träume hat. Nur, wenn ihr zu viel gegessen habt, dann kann ich nichts versprechen..." Es wird viel gelacht in diesem Religionsunterricht.
Jetzt hängt der Lehrer einen Gebetsteppich an die Tafel. Was ist wichtig beim Gebet? Die Richtung zur Kaaba nach Mekka. Woher weiß man die? Der Demonstrations-Teppich hat sogar einen "eingebauten" Kompass! Und Mohamed El Kadiri kann mit seinem Smartphone die Himmelsrichtung bestimmen.
Wie betet man richtig? Fünf Kinder braucht El Kadiri, er selbst übernimmt die Rolle des Vorbeters. Was ist wichtig? "Das Kopftuch", sagt ein Mädchen. "Nein", sagt El Kadiri. Aber? Genau! Schuhe ausziehen! Und dass man nicht lacht dabei, dass man "mit dem Herzen betet". Und sich danach mit Handschlag voneinander verabschiedet. Was war jetzt anders als in der Moschee? Ein paar Kinder haben es gemerkt: Mädchen und Jungen haben zusammen gebetet..
"Friede sei mit euch" — wie im christlichen Glauben ist auch hier diese Formel wichtig. Mohamed El Kadiri fordert die Kinder zum Nachdenken auf: "Was heißt das für alle, wenn man 'Friede sei mit euch' sagt, und sich trotzdem auf dem Schulhof streitet, oder wenn es so viele Kriege und Konflikte auf der Welt gibt?"
Ein Mädchen meldet sich: "Alle Menschen machen mal was falsch. Aber Terroristen machen alles falsch." Bettina Osswald und ich schauen uns an: Das kann man kaum besser sagen.
Zum Schluss der Doppelstunde, bevor die Kinder in stiller Arbeit zu spirituell-fröhlicher Sufismus-Musik einen eigenen Gebetsteppich auf ihren deutschsprachigen Arbeitsblättern, auf denen es auch um die Geschichte und die Besonderheiten des Korans geht, ausmalen werden, wird noch einmal die Kaaba, das zentrale islamische Heiligtum in Mekka, zum Thema. Mohamed El Kadiri hat ein kleines Modell dabei: Was bedeutet die Kaaba? Was ist drin? Wer hat sie gebaut? Da kommt auch Abraham zur Sprache. Dass der bei den Moslems Ibrahim heißt, wissen einige der Kinder. "Er ist der Großvater aller drei Religionen, der Moslems, der Christen und der Juden", erklärt Mohamed El Kadiri.
Und der schwarze, geheimnisvolle Stein, der drin ist in der Kaaba, was bedeutet der eigentlich? Die Kinder haben viele Ideen... Mohamed El Kadiri hört geduldig zu und sagt dann: "Manche glauben dies, manche etwas anderes. Ich muss neutral bleiben. Es ist wichtig zu wissen, was jeder denkt. Es geht nicht nur darum, was der Lehrer denkt, sondern auch andere zu respektieren. Innerhalb des Islam kann man durchaus anders denken und glauben."
Draußen regnet es immer noch. Ich stehe vor der Schule, schaue auf den Schusterplatz. Ich denke an meinen (evangelischen) Religionsunterricht vor etwa 40 Jahren. Auch damals ging es um das "Beten mit dem Herzen", um Respekt, Toleranz, Miteinander. Auch um die vielen, vielen Geschichten in der Bibel — und was sie bedeuten können. Ich hatte immer sehr guten Religionsunterricht.
Das hier gerade war auch welcher. Das spürt man.