Bundestagswahl 2017: Rainer Spiecker (CDU) "Arbeite nie mit doppeltem Boden"
Wuppertal · "Sie haben sich aber fein gemacht. Das haben Sie doch gar nicht nötig", sagt eine Passantin schelmisch im Vorbeigehen. "Sie wissen doch, jede Stimme zählt", lacht Rainer Spiecker zurück und wendet sich wieder dem Fototermin mit der Rundschau auf dem Berliner Platz zu.
Keine Frage: Wuppertals CDU-Kandidat im Wahlkreis 1 "kann" mit den Leuten hier in Oberbarmen — und der eingefleischte Nächstebrecker hat sich den viel diskutierten Problem-Platz auch ganz bewusst als Treffpunkt ausgesucht.
"Ich bin hier von klein auf tagtäglich vorbeigekommen — ob ich mit der Schwebebahn zur Schule nach Elberfeld musste oder für unser Familienunternehmen zur Post gegangen bin", erinnert sich der 56-Jährige und zeigt von der Eckbank im Kaffee an der Stirnseite des Platzes hinaus Richtung B7. Dort hängen jetzt überall die Wahlplakate mit seinem Porträt. Komisch sei das nur am Anfang gewesen, nach zehn Tagen habe er sich daran gewöhnt. Diese Plakate transportieren seine zentrale politische Botschaft — heruntergebrochen auf einen einzigen Begriff: "sicher".
"Das war eine Idee von mir und meinem Team", erklärt Spiecker die Kampagne, in der alles drinsteckt, was ihn umtreibt und auch persönlich berührt: Mehr Sicherheit für Familien und den Mittelstand, in Handwerk und Beruf, für Wuppertal allgemein und auf Straßen und Plätzen. Im Kern also klassische konservative Forderungen mit klarer Kante, die zu einem CDU-Kreisvorsitzenden passen. "Das kommt draußen gut an. Die Leute mögen diese Klarheit", findet Spiecker, "auch wenn ich mich einmal nicht so klar ausgedrückt habe ..."
Eine Anspielung auf ein Video, in dem sich Spiecker so unglücklich verhaspelte, dass es bundesweit die Runde machte. Spiecker schüttelt heute noch den Kopf über seinen Lapsus, steht aber zu dem Blackout: "Das war ein kompletter Aussetzer. Ich habe danach aber gerade aus Wuppertal auch viel Zuspruch bekommen."
Mit Rückschlägen umzugehen hat Rainer Spiecker schon früh im Leben lernen müssen. Mit 22 Jahren war er einer der jüngsten Konditorenmeister Deutschlands, als eine Mehlstauballergie die Handwerkskarriere jäh beendete. Wenn er von "dieser verdammten Krankheit" spricht, merkt man ihm an, dass ihn das immer noch anfasst.
Spiecker sattelte aber erfolgreich um und stieg in das Nächstebrecker Familienunternehmen ein, das am am Löhrerlen Gürtel und Hosenträger herstellt. Seit dem Jahr 2000 ist er Geschäftsführer des 104 Jahre alten Traditionsunternehmens — und spricht inzwischen mit sichtbarer Begeisterung über das Geschäft, das er sich als junger Mann eigentlich vom Leib halten wollte.
"Hosenträger und Gürtel sind immer noch zu 80 Prozent Handarbeit. Wir konzentrieren uns auf das, was wir gut können", erklärt er das Erfolgsrezept seiner 16 Mitarbeiter starken Belegschaft, die in der globalisierten Handelswelt mit Qualität made in Germany punktet.
Auf seine Mitarbeiter könne er sich zu 150 Prozent verlassen, wenn er wieder zum Berufspolitiker werden sollte, betont Spiecker. Zuletzt war er das von 2012 bis 2017 als Landtagsmitglied. Dass er auf eine erneute, mit bestem Listenplatz abgesicherte Kandidatur verzichtete und stattdessen in den Bundestag will, hat mancherorts für Kopfschütteln gesorgt. Aber in den Landtag einziehen und dann nach Berlin hüpfen kam für ihn nicht in Frage. "Man kann nicht für zwei Parlamente kandidieren. Ich wollte ganz klar dokumentieren, dass ich nicht hü und hott mache. Ich arbeite nie mit doppeltem Boden."
So wurde er also zum Wahlkreis-Nachfolger von Peter Hintze. An die vor knapp einem Jahr verstorbene bundespolitische CDU-Größe erinnert er sich dankbar: "Wir kannten uns 25 Jahre lang, ich habe viel von ihm gelernt. Vor allem, dass Politik Kompromiss ist und dass man zuhören muss."
Feiner Unterschied zu Hintze: Während der ehemalige CDU-Generalsekretär, der das Direktmandat nie holen konnte, stets über die Landesliste abgesichert war, rangiert Spiecker hier nur auf Platz 32. Ob der am Ende zieht, ist ziemlich ungewiss. "Ich gehe davon aus, dass ich direkt gewinnen muss", glaubt Spiecker selbst und gibt sich kämpferisch: "Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen, zuletzt war es ja auch ganz knapp."
Und warum unbedingt Berlin? "Mich reizt, dass ich dann direkt in der Legislative drin bin und Gesetze machen kann, die sich dann hier in Wuppertal positiv auswirken." Damit das klappt, braucht Spiecker ein Mandat und die CDU einen Koalitionspartner. "Mein Wunsch wäre Schwarz-Gelb, aber man kann sich vielleicht auch Jamaika vorstellen. Ich finde Schleswig-Holstein in diesem Zusammenhang ein interessantes Experiment."
In allen Konstellationen würde er sich für die Finanzierung des Pina-Bausch-Zentrums stark machen und für die Interessen von Handwerkern und Mittelständlern kämpfen, die im Bundestag ähnlich unterrepräsentiert sind wie in Düsseldorf. "In Düsseldorf war ich der einzige Abgeordnete mit einem produzierenden Betrieb", erinnert er sich. Damals hat er im Gespräch mit Fraktionschef Armin Laschet erreicht, dass die Position des handwerkspolitischen Sprechers installiert wurde. "Das würde ich in Berlin genauso machen. "
Noch aber sitzt er am Rande des Berliner Platzes und macht deutlich, dass der ihm bei allen bundespolitischen Ambitionen keine Ruhe lässt. Sicher — um zum Schlüsselwort zurückzukommen, fühlt sich hier bekanntlich nicht jeder: "Die mobile Wache war ein erster Schritt. Ich bin aber immer noch der Meinung, dass Videoüberwachung hier helfen würde."
Nicht nur bei diesem Thema sprudelt es förmlich aus dem Lokalpatrioten heraus. Kann der Mann auch abschalten? Ja, bei Songs von Lindenberg, Grönemeyer oder Westernhagen, die bei ihm in Dauerschleife laufen. Oder bei Spaziergängen mit seiner Partnerin sonntags über die Wuppertaler Rundwanderwege. Und bei einer Praline ("am liebsten mit Marzipancreme"), denn diese Leidenschaft hat er aus dem ersten Berufsleben als Konditor in sein zweites als Textilunternehmer und Politiker herübergerettet.
Sonntagabend wird auf jeden Fall eine gute Gelegenheit sein, sich nach aufregenden Wahlkampftagen wieder eine zu gönnen ...